Zur Loschwitzer Friedhofsgeschichte: Der Anfang war 1704
Fragt man einen alteingesessenen Loschwitzer oder einen auswärtigen Fan unserer Gegend nach den wichtigsten Charakteristika unseres Stadtteils, so wird er mit Sicherheit das Blaue Wunder, die Standseil- und die Schwebebahn, die Gründerzeithäuser am Körnerplatz und den alten Dorfkern, die Loschwitzer Kirche, das Leonhardi-Museum, das Künstlerhaus und das Elbhangfest nennen. Aber auch den Friedhof gegenüber dem von Martin Pietzsch geschaffenen Künstlerhaus werden wohl viele als bedeutungsvollen Ort bezeichnen.
Unser Friedhof ist seit jeher ein letzter Ruheplatz von vielen Menschen und mit seinen Grabmalen ein orts- und kunstgeschichtliches Museum unter freien Himmel. Aber wann wurde der Friedhof, der früher „Gottesacker“ genannt wurde, in Nutzung genommen? In den „Dresdner Heften“ (Nr. 127, 3/2016, S. 32) wird vermerkt, dass die erste Beerdigung 1798 stattgefunden hätte. Was aber geschah in der Zeit von 1704, dem Jahr der Kirchgemeindegründung, bis 1798? Die Loschwitzer, Wachwitzer und die Bewohner vom Weißen Hirsch waren ja bereits vom Kirchgang zur Frauenkirche entbunden. Dies war ein beschwerlicher und sehr mühsamer Weg, sieben Kilometer hin und wieder zurück. Und das alles Sonntag für Sonntag über den Elbeweg (im 16. Jh. noch Stolpischer Weg genannt), dem heutigen Körnerweg (1) und bei Hochwasser gar über den Stadtweg (heute Schillerstraße), die Bautzner Straße (2), durch die Schwarze Pforte (3) hinein in die Neustadt, über den Richtplatz, vorbei an der Dreikönigskirche und über den Markt. Dann ging es über die im 12./13. Jh. unter Markgraf Heinrich dem Erlauchten (1215 – 1288) errichtete Steinbogenbrücke (4), die zu ihrer Entstehungszeit mit 561 m die längste Steinbogenbrücke in Europa war. Bei Trauungen, Begräbnissen und Gottesdiensten führte der Weg bis zur alten Frauenkirche (5) und bei Taufen weiter bis zur Kreuzkirche (6). Noch beschwerlicher war der Weg mit einem Sarg, mit den ihn begleitenden, oft betagten Verwandten und Freunden des Verstorbenen und wohl nur mit Pferdefuhrwerken zu bewältigen, hin zur Frauenkirche und dann weiter zum Johanniskirchhof (7), auch Böhmischer Friedhof genannt, der vor dem Pirnaischen Tor lag – Sommer wie Winter.
Haben sich die Einheimischen nach der Kirchgemeindegründung weiter diese Beschwerlichkeiten zugemutet? Nein! Die Erklärung finden wir im Bestattungsbuch der Kirchgemeinde Loschwitz, das seit 1704 ohne Unterbrechung geführt wird. In der Einleitung, durch den ersten Loschwitzer Pfarrer, Magister Johann Arnold (vom Rat der Stadt berufen am 04.04.1704) geschrieben, ist zu lesen: „Sind hierein verzeichnet diejenigen, so in diesem Kirchspiele, Loschwitz und Wachwitz selig gestorben, und auff dem Gottesacker oder Kirchhoff allhier begraben worden, wie auch in welchem Jahre und Tag solches geschehen ist, alß: Anno Christi 1704.“ Die Frage „Wann wurde wo bestattet?“ muss hier einmal grundsätzlich beantwortet werden. Erst nach dem Bau der Kirche konnten wieder Bestattungen auf dem Kirchhof stattfinden, was im Bestattungsbuch dann auch gesondert vermerkt ist. Von 1704 – 1710 sind 237 Begräbnisse verzeichnet. Die erste Bestattung in der neuen Kirchgemeinde war die des Jungen (filioly), Johann George Fähre am 19. Oktober 1704 ohne einen Hinweis zum Bestattungsort. Also war das mit hoher Wahrscheinlichkeit die erste Bestattung auf dem Friedhof, dem Gottesacker, nach der Kirchgemeindegründung. Denn gerade in dieser Zeit begannen die Bauvorbereitungen und von 1705 – 1708 dann der Bau unserer Loschwitzer Kirche, der nach Entwürfen und unter der Leitung von Ratszimmermeister George Bähr und Ratsmaurermeister Johann Christian Fehre und seinem gleichnamigen Sohn ausgeführt wurde. Es war keine kleine Baustelle, wo man so parallel zu den Bauarbeiten auf dem Kirchhof hätte Beerdigungen vornehmen können. Da waren Flächen für eine umfangreiche Baustelleneinrichtung mit Materiallager- und Bearbeitungsplätzen, mit Gerüststellflächen in größerem Umfang vorzuhalten. Bereits Ende 1704 wurde Baumaterial, besonders Sandstein und Bauholz, am Bauplatz vorgelagert. „Im Mai wurde der Platz zur neuen Kirche umgangen, dabei drei Choräle gesungen, die Weinpfähle gezogen, die Weinstöcke Ausgehackt und der Grund ausgehoben.“* Am 29.06.1705 konnte der Grundstein feierlich gelegt und am 03.08.1708, dem Namenstag August des Starken, die Kirche geweiht werden. Mit der Vollendung der Außenanlagen wurden die Bauarbeiten 1710 abgeschlossen. Der nun entstandene Kirchhof bot nur für etwa 50 bis 60 Gräber Platz, hauptsächlich für die gut betuchten und angesehensten Bürger der Gemeinde. Die ursprünglichen Grabmale von 1709 bis 1786 sind nicht mehr vorhanden und wurden mit den Verstorbenen nachfolgender Generationen überbettet. So ist das Grabmal von Pfarrer Johann David Hennig von 1787, an der Mauer hinter der Kirche gelegen, das älteste noch auf dem Kirchhof erhaltene. Die Zahl der Bewohner in der neuen Gemeinde stieg im 18. Jh. stetig und mit ihnen auch die Zahl der Begräbnisse. Von 1774 – 1783 z. B. waren es 554, von 1784 – 1793, 512 und von 1794 – 1801, 486 vermerkte Beerdigungen, pro Jahrzehnt etwa 500. Das heißt in einem Jahr gab es etwa 50 Bestattungen, etwa so viele, wie insgesamt nur auf dem Kirchhof Platz gehabt hätten. Auf dem Loschwitzer Friedhof am Künstlerhaus, dem früheren „Gottesacker“, gehört das Grabmal der Anna Maria Hartmann aus Wachwitz, gest. am 14.01.1798, zu den ältesten noch vorhandenen. Die anderen etwa 3500 Gräber der in 94 Jahren zuvor Verstorbenen wurden ebenfalls mit den Särgen der Nachfolgenden überbettet. So leben wir Heutigen etwa in der 10. Generation nach der Kirchgemeindegründung Loschwitz von 1704 und nehmen, wenn die Zeit kommt, wie damals Abschied von unseren Lieben, wie es die Loschwitzer und Wachwitzer schon vor mehr als 300 Jahren taten. Unser Friedhof ist ein schöner, mit Umsicht und viel Fleiß gepflegter und würdiger Ort der Erinnerung, der Besinnung, der Ruhe und er ist zudem auch eine Stätte voller Natur und voller Geschichte und Geschichten – auch für die, die nach uns kommen.
Otto-R. Wenzel und Dr. Michael Damme (Elbhang-Kurier 11.2018)
* Die Kirche zu Dresden Loschwitz; Verl. Schnell und Steiner 1974